Eine Briefmarke flüstert, ein Brief erzählt eine Geschichte
Social Philately (auch Social Philatelie oder kurz SOPHY genannt) ist eine der neueren Disziplinen im Bereich der Philatelie und ist vor allem für Anfänger und jüngere Sammler geeignet, um mit diesem Hobby zu beginnen. Die Idee zur Social Philately ist in den 1980er-Jahren in Australien und Neuseeland entstanden. Hierbei kommt es nicht auf die nur Briefmarken an, sondern auf die Einheit des gesamten Beleges. Wann wurde der Brief oder die Ansichtskarte geschrieben und gab es zu diesem Zeitpunkt ein besonderes Ereignis innerhalb der Geschichte? Wie wurde der Beleg befördert und welche Personen sind an diesem Schriftverkehr beteiligt gewesen? Je älter der Beleg ist, umso spannender sind die dazugehörigen Nachforschungen. Verstecken sich dann noch berühmtere Personen unter dem Absender und / oder Empfänger, hat man das große Los gezogen. Ganz schön ist es natürlich, wenn man nicht nur einen Umschlag, sondern auch noch den Text in den Händen hält. Sehr oft passiert es leider nicht, meistens fehlt der Inhalt eines Briefes, aber manchmal hat man auch Glück. Mit diesen Angaben kann man dann forschen, unter welchen Gegebenheiten der Beleg versendet wurde. Dabei ist es nicht selten, dass man Überraschungen erlebt oder von einer tragischen Geschichte erfährt.
Aus datenschutzrechtlichen Gründen werde ich allerdings die Namen der beteiligten Personen entfernen.
Die Postkarte wurde am 3. September 1914 in Yokohama beschrieben und lief nach München, Bayern. Am 23. August hatte Japan Deutschland den Krieg erklärt. Zu dieser Zeit weilte Familie Sulzer in Yokohama. Nicht nur der Zeitpunkt ist für mich interessant, sondern auch der Absender, Robert Sulzer, über den ich folgendes gefunden habe:
1889 wurde die Firma mit dem heutigen Namen Desco von Schulthess Holding AG (Sulzer, Rudolph & Co) mit dem Sitz in Zürich gegründet. Das Unternehmen war eine internationale Seidenhandelsfirma mit dem Schwerpunkt in Asien. Der Gründer hieß Eduard Sulzer-Frizzoni, der neben dem Standort in Zürich auch Niederlassungen in Lyon, Shanghai, Yokohama, New York City und später in Hongkong, London, Mailand und Tokio eröffnete.
Die Niederlassung in Yokohama wurde 1901 gegründet und bis 1919 von Eduards Bruder, Robert Sulzer geleitet. Nach dem zweiten Weltkrieg erweiterte die Firma ihr Portfolio und begann mit dem Uhrenexport nach Asien.
Robert Sulzer gratulierte dem Empfänger zu seinem 75. Geburtstag und hoffte, dass die Karte diese Person überhaupt erreichen wird. Die Zeiten waren damals sehr ernst für die Beteiligten. Doch er hegte die Hoffnung in bessere Zeiten und erwähnte zum Schluss Heidi, vermutlich seine Tochter, die sich prächtig entwickelte.
Quelle: Wikipedia
Per Zufall bin ich im Briefmarkenfachladen meines Vertrauens auf eine japanische Marke gestoßen, die ich bisher noch nie gesehen habe. Neugierig erkundige ich mich nach ihrer Verwendung. So erfuhr ich, dass es sich um ein Siegel handelt, welches in Japan verwendet wurde, um Belege zu reparieren, falls diese während des Laufwegs beschädigt werden.
Zum großen Glück gab es dazu im Laden direkt eine Postkarte, die auf ihrer Reise von Hamburg nach Japan einen Schaden erlitt und mit der Marke beklebt wurde. Allerdings weckte nicht nur aus diesem Grund die Postkarte meine Aufmerksamkeit. Interessant fand ich die Adresse des Empfängers in Japan, die unzureichend vom Absender angegeben wurde. Damit wollte ich mich näher beschäftigen.
Am 18. März 1930 stellte Fritz John Hess eine Anfrage an eine japanische Zelluloid-Firma. Als Zelluloid bezeichnet man eine Gruppe von Kunststoff-Verbindungen. Bereits 1856 wurde das erste Zelluloid unter dem Namen „Parkesine“ hergestellt. Erst 1870 wurde das Material unter dem Handelsnamen „Celluloid“ registriert.
Fritz John Hess schickte die Anfrage nach Japan und bat um den günstigen Preis für Zelluloid-Puppen mit der Nennung von Kosten, Versicherung und Fracht (c.i.f. = cost, insurance, freight) nach Hamburg. Als Empfänger gab der die Firma Katsushire in Katsushire Japan an. Dabei ergibt sich folgendes Problem. Es existiert kein Ort in Japan, der Katsushire heißt. Vermutlich hat Herr Hess einen Nachnamen für den Ort gehalten oder er hatte wirklich keine genaue Angabe des Empfängers (was allerdings für eine Firma sehr ungewöhnlich wäre). „Katsushire“ ist jedoch kein geläufiger Nachname in Japan. Stattdessen findet man den Namen „Katsushiro“.
Die Postkarte wurde am 18. April 1930 in Shimonoseki (下関市) abgestempelt. Wieso ist diese Postkarte dort gelandet? Bezüglich des Postwesens konnte ich ermitteln, dass sich in Shimonoseki das älteste aktive japanische Postamt befindet. Es wurde 1900 gebaut und die Architektur richtet sich an den westlichen Stil. Durch die Anbindung an das Meer ist die Stadt ein wichtiger Hafen für die Fischerei.
Am 24. April 1930 gelangte die Postkarte nach Tokio, aber ihren Empfänger erreichte sie nie, wie der Aufdruck „Rebuts“ belegt. Sehr amüsant ist in dem gesamten Zusammenhang der Hinweis auf der Postkarte „Vergiß nicht Straße und Hausnummer anzugeben“.
Doch wohin sollte die Postkarte gehen? Eine Theorie: Betrachtet man den Namen „Katsushire“ und vergleicht diesen mit Städten in Japan, sticht Katsushika (葛飾区) mit einer Ähnlichkeit hervor. In dieser Stadt gab es eine Firma, die Zelluloid verarbeitete. Im April 1914 entstand eine Spielzeugfabrik. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stoppte die Produktion von Spielzeugen in europäischen Ländern. Aus diesem Grund konzentrierte man sich in dieser Zeit auf japanische Spielzeuge aus Zelluloid. In Katsushika wurde die Zelluloid-Fabrik von Chikusa Minoru gegründet. Durch die Rezession 1920 musste Chikusa den Betrieb bedauerlicherweise schließen. Somit war diese Fabrik kein Ansprechpartner im Jahr 1930.
John Hess war ein Kaufmann und laut einem älteren Adressbuch aus Hamburg zuständig für den Export und der größten Spezial-Ausstellung der Spielwaren-Branche. Zu den weiteren Inhabern gehörten unter anderem Nathan J. Hess, Georg Hess und Rosalie Hess. Laut einem Stammbaum starb John Hess am 4. September 1918 in Hamburg. Sein Sohn hieß Fritz John Hess, der vermutlich das Angebot mit „FH“ unterzeichnet hat. Er starb am 4. September 1969 in München.
Quellen:
– Webseite – Geschichte der Stadt Katsushika (englische Übersetzung)



